Sicherheit versus Schlaf – ein Konflikt und eine Einschätzung

Sicherheit versus Schlaf – ein Konflikt und eine Einschätzung

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„Wir brauchen hell beleuchtete Straßen, damit keine Frauen überfallen werden!“ Wirklich? Echt jetzt?!? Es ist Zeit, dass ich mich mal aufrege – und dann objektive Argumente bringe, warum wir nicht so viel Licht brauchen.

Ich höre dieses Argument immer wieder. Egal, wie viele Argumente ich bringe für den Schutz von Insekten, Vögeln, Igeln oder Pflanzen. Egal, wie viel Energie wir verschwenden. Egal, wie viele Anwohner sich über das Licht in ihren Wohnräumen beschweren. Am Ende kommt immer das Totschlag-Argument mit der Sicherheit. Ganz ehrlich, ich kann es nicht mehr hören. Warum? Eine Erklärung:

Frauen brauchen mehr Sicherheit vor Übergriffen – aber der Ruf nach helleren Straßen lenkt von den wirklich gefährlichen Orten ab.

Die meisten sexuellen Übergriffe auf Frauen passieren im privaten oder beruflichen Umfeld – nicht auf dunklen Straßen. Bild von Sabrina via Pixabay

Ich bin eine zierliche Frau. Belästigt wurde ich in meinem Leben schon so manches Mal, verbal und körperlich. Am Arbeitsplatz, in öffentlichen Verkehrsmitteln, im privaten Umfeld, auf der Tanzfläche. Noch nie in einer schlecht oder unbeleuchteten Straße! Wann immer ich mich wegen Übergriffen beschwert oder andere Frauen deswegen unterstützt habe, wurde abgewiegelt. Das sei nicht so schlimm, wir würden uns das nur einbilden, wir sollten uns anders anziehen/verhalten/etc. Genau dasselbe erfahre ich in Public Networks. Gewalt gegen Frauen wird noch immer relativiert, zur Seite geschoben.

Nur nicht, wenn es um Straßenbeleuchtung geht. Da ist unsere Sicherheit plötzlich unglaublich wichtig. Da muss dann hell beleuchtet werden, die ganze Nacht. Damit ich als Frau auch um 3 Uhr nachts noch sicher durch den Park laufen kann. So viel Sorge um mein Wohlbefinden würde mich freuen, aber ganz ehrlich – es löst die wirklichen Probleme nicht.

Ich will nicht sagen, dass nie Frauen an dunklen Orten vergewaltigt werden. Ich will auch nicht das Licht ausschalten, zumindest nicht immer und überall. Und ich kenne die psychologische Belastung auf dunklen Wegen durch die Stadt. Nicht nur Frauen haben dabei Bedenken, es gibt auch viele Männer, die das nicht möchten. Und das sollten wir bei der Lichtplanung sehr wohl berücksichtigen.

Licht stört genauso wie Lärm – doch statt sinnvolle Regularien zu schaffen sollen wir Licht ertragen, egal wie sehr es belastet.

Allerdings kommen wir im öffentlichen Raum regelmäßig in einen Interessenskonflikt. Helles Licht ist nicht nur umweltschädlich, es stört auch viele Anwohner. Immer wieder bekomme ich Emails oder Anrufe von verzweifelten Menschen. Das Licht dringt in ihren Privatbereich ein, stört den Schlaf, verwandelt den Garten in eine kalte, ungemütliche Wartehalle. „Mir wird die Teilhabe an der Nacht verwehrt“, schrieb mir eine Anwohnerin, nachdem sie am Telefon geweint hatte. Nicht nur ich bekomme diese Hilferufe. Sei es der Sternenpark Rhön, das Hessische Netzwerk gegen Lichtverschmutzung, die Dark Sky Nord, die Paten der Nacht oder die Selbsthilfe-Initiative Lichtgesundheit. Immer mehr verzweifelte Menschen suchen Hilfe. Wenn sie sich bei den Gemeinden beschweren, bekommen sie immer wieder dasselbe zu hören: „Wir brauchen das Licht, damit sich die Menschen sicher fühlen. Schlafen Sie doch mit Rollladen.“

Blick in ein Schlafzimmer mit einfallender Straßenbeleuchtung (Foto von Annette Krop-Benesch)

Haben Sie mal versucht, in einer warmen Sommernacht mit Rollladen zu schlafen? Das wird ziemlich stickig. Für das Landesgericht Wiesbaden ist es sogar unzumutbar, wegen störender Außenbeleuchtung mit Rollladen schlafen zu müssen (LG Wiesbaden 10 S 46/01).

Auch bedeutet das, jeden Morgen im Dunklen aufzuwachen. Kein sanfter Tagesbeginn, denn unsere innere Uhr ist dann noch auf Nacht gestellt. Wir brauchen einen knallharter Wecker, der uns aus dem Schlaf reißt. Und wer nachts aufwacht sieht um sich herum nur Dunkelheit. Kein Licht zur Orientierung. Viele andere Menschen haben nicht einmal einen Rollladen und können auch keinen installieren. Die sollen dann bitte eine Schlafmaske tragen. Ganz ehrlich, würden Sie akzeptieren, jede Nacht mit Ohrstöpseln zu schlafen, nur weil andere sich besser fühlen, wenn ständig irgendwo Hintergrundmusik plänkelt? Ich denke nicht und gegen Lärmbelästigung gibt es Gesetze. Die gibt es auch gegen Lichtimmissionen, sie werden aber gerne ignoriert.

Stattdessen sollen Anwohner Einschränkungen in Kauf nehmen. Zwei Bedürfnisse werden hier abgewogen: Der Wunsch nach Sicherheit und der nach einem erholsamen, gesunden Schlaf. Da ist erstmal schwer zu entscheiden, was wichtiger ist. Was nutzt guter Schlaf, wenn ich überfallen und vergewaltigt werde?

Licht macht die Nacht nicht sicherer, aber wir klammern uns an diese Idee, weil die wirklichen Lösungen komplex sind.

Verschiedene Studien untersuchten den Einfluss von Licht auf Sicherheit. Der britische Statistiker Paul Marchant und die deutsche Architektin, Kriminologin und ehemalige Polizistin Dunja Storp sind von den wenigsten überzeugt.

Die meisten sind methodisch schwach, viele fragen Anwohner nach deren persönlichen Erfahrungen statt Daten aus der Polizeistatistik zu sichten, bewerten also das Sicherheitsempfinden statt der realen Sicherheit. Es fehlen Vergleichsdaten, sei es ein sauberer Vorher-Nachher-Vergleich oder ein Vergleich zu Nachbargemeinden. Zudem widersprechen sich die Studien. Mal macht Licht es besser, mal schlechter, mal ändert sich nichts.

Foto von Akent879 via Pixabay

In den letzten Jahren ändert sich hier etwas, sauber geplante Studien werden durchgeführt, zumindest in Großbritannien. Die LANTERN-Studie (Steinbach et al., 2015) untersuchte die Polizeistatistiken aus 69 englischen und walisischen Bezirken in Bezug auf Verkehrsunfälle zwischen 2000 und 2013. Sie fand keinen Unterschied zwischen Nachtabschaltungen, nächtlichem Dimmen, weißen oder orangenen Licht in Bezug auf Verkehrsunfälle. Eine Analyse der Verkehrsunfälle in Großbritannien zwischen 2004 und 2013 zeigte landesweit ebenfalls keine Reduktion durch die Installation neuer Straßenbeleuchtung (Marchant et al., 2020). Im direkten Vergleich von Bezirken mit und ohne Installation von LED-Beleuchtung zeigte sich sogar ein Anstieg der Verkehrsunfälle in Bezirken, in denen helle Leuchten installiert worden waren.

Eine weltweite Analyse der Verkehrsunfälle (Vecino-Ortiz et al., 2022), erschienen in The Lancet im Rahmen der Sustainable Development Goals, nennt als wichtigste Ursache von Verkehrsunfällen übrigens überhöhte Geschwindigkeiten, Alkoholmissbrauch und fehlende Gurte bzw. Helme. Straßenbeleuchtung wird nicht einmal erwähnt. Interessant ist auch die Empfehlung des Deutsche Verkehrssicherheitsrat e.V. von 2003. Dieser fordert vermehrten Einsatz von hellen Oberflächen und reflektierender Kleidung. Zum Thema Straßenbeleuchtung ließt man hier: „Verbesserungen bei der Markierung und der Ausstattung der Straße dürften dagegen eher kontraproduktiv sein, da sie einerseits die Geschwindigkeit der Fahrzeuge negativ beeinflussen – es würde durchschnittlich schneller gefahren werden! – und andererseits den Fußgänger noch mehr in den Hintergrund drängen würden.“

„Verbesserungen bei der Markierung und der Ausstattung der Straße dürften dagegen eher kontraproduktiv sein, da sie einerseits die Geschwindigkeit der Fahrzeuge negativ beeinflussen – es würde durchschnittlich schneller gefahren werden! – und andererseits den Fußgänger noch mehr in den Hintergrund drängen würden.“

Deutscher Verkehrssicherheitsrat e.V. 2003
Bild von fbhk via Pixabay

Doch was ist mit Kriminalität? Die LANTERN-Studie (Steinbach et al., 2015) analysiert auch die Polizeistatistiken für verschiedene Verbrechen zwischen 2010 und 2013. Sie fand in einigen Bezirken eine Steigerung, in andere eine Verminderung. Überfälle stiegen bei Teilabschaltungen leicht an, Einbrüche, Autodiebstähle und Angriffe auf Personen sanken hingegen. Landesweit zeigt sich, dass eine Absenkung der nächtlichen Beleuchtung zu einer Reduktion der Kriminalität führt. Eine Folgestudie, die genauer die Polizeistatistik zwischen 2004 und 2013 des Thames Valley Police analysierte, fand keinen Anstieg der Kriminalität durch Nachtabschaltungen, aber einen Rückgang der Autoeinbrüche und -diebstähle (Tompson et al., 2022). Die Autoren nehmen an, dass Autodiebe das Licht für Ihre Tätigkeit brauchen. Und Hauseinbrüche, so zeigt die deutsche Polizeistatistik, finden vor allem tagsüber statt, wenn niemand Zuhause ist, denn Bewohner sind ein Risiko für Einbrecher.

Die Daten unterstützen die Aussage, dass mehr Licht mehr Sicherheit bedeutet also nicht. Dennoch fühlen sich viele Menschen auf beleuchteten Straßen sicherer. Ist das nicht Grund genug, heller zu beleuchten? Dazu müssen die Kosten abgewogen werden. Die Installation von Straßenbeleuchtung kostet Geld und derzeit werden viele Straßen mit LED ausgerüstet, die vorher unbeleuchtet waren – teilweise übrigens gegen den Wunsch der Anwohner, aber auf deren Kosten. Das Geld für Installation und Betrieb könnte man auch in andere Projekte stecken, den Kindergarten oder die Bücherei. Beleuchtung kostet auch Energie. In der aktuellen Energiekrise durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine ist Energiesparen zur Notwendigkeit geworden. In vielen Wohngebieten könnte man nachts entweder ganz abschalten, wie es 2014 in 14% der deutschen Gemeinden praktiziert wurde, oder dimmen, wie in 70% der deutschen Gemeinden üblich (PriceWaterhouseCoopers, 2015).

Bild von Dieter_G via Pixabay

Sind das genug Argumente gegen die Ängste einiger Bürger vor der Dunkelheit? Denn eigentlich wollen ja alle mehr Licht nachts, oder? Zumindest höre ich das oft von Gemeindevertretern, Lichtplanern und Bürgern. Alle wollen mehr Licht. Bis auf die wachsende Zahl von Bürgern, die sich gestört fühlen durch die immer heller werdenden Straßenbeleuchtung, die in ihren Privatbereich scheint. Durch die Beleuchtung von Sportplätzen, Schulen, Kirchtürmen, Privathäusern. Menschen, die sagen, sie können vor lauter Licht keine Ruhe mehr finden oder sogar nicht mehr schlafen. Wie sieht es eigentlich mit denen aus?

Schlafstörungen machen krank und das sollte nicht weniger ernst genommen werden wie die Angst, im Dunkeln nach Hause zu laufen.

Wer nicht schlafen kann, wird krank und fast alle Krankheiten, die mit Schlafstörungen korreliert sind – oft auch kausal zusammenhängen – treten in hellen Städten häufiger auf. Dazu gibt es überzeugende Studien. Der Konsum an Schlafmitteln steigt, das Risiko für Depressionen, Übergewicht und einige Krebsarten ist erhöht. Auch leicht erhellte Schlafräume beeinträchtigen messbar die Schlafqualität und lassen den Blutdruck steigen – und damit langfristig das Risiko für einen Herzinfarkt. Schaut man auf die Studienlage sind die Daten zu Gesundheitsrisiken nicht nur belastbarer als die Daten einer möglicherweise höheren Sicherheit, die Vorteile einer dunklen Wohnumgebung wiegen den Nutzen eines subjektiven Sicherheitsgefühls auf.

Wer wissenschaftlichen Studien verhalten entgegen steht, dem sei die menschliche Seite in Erinnerung gerufen. In nunmehr zehn Jahren habe ich oft gehört, dass es unangenehm sei, nachts im Dunkeln zu laufen. Dieses Argument wird entweder emotionslos vorgebracht oder erbost über die Ignoranz derer, die Dunkelheit wünschen. Die Argumentierenden selbst sagen oft, sie selbst hätten ja keine Angst, aber andere schon. Insbesondere Männer sprechen sich für die Sicherheit von Frauen aus. Manchmal sind die auch erbost über die Dummheit derer, die gedämpfteres Licht oder gar Nachtabschaltungen möchten. Schließlich weiß doch jeder, dass Dunkelheit Verbrecher anlockt!

Die andere Seite klingt anders. Verzweiflung, Hilflosigkeit, Wut. Viele Tränen. Da ist Leidensdruck. Da sind direkt Betroffene, nicht Menschen, die sich um andere Sorgen machen, die sie oft gar nicht konkret nennen können. Das Leiden durch nächtliche Bedrohung ist greifbar und sehr persönlich.

Wir müssen Abwägen zwischen Sicherheitsempfinden und Gesundheit – für Gesundheit

Ist so viel Licht wirklich nötig? Oder ist das nur kostspielige, umweltschädliche Anwohnerbelästigung? (Foto von Thomas Posch)

Wir müssen also abwägen zwischen dem Wunsch, nachts im Hellen zu laufen, weil uns beigebracht wird, dass Dunkelheit gefährlich sei, und dem messbaren Bedürfnis nach gesundem Schlaf im Dunkeln. Diese Abwägung ist nicht einfach. Ängste sind ernst zu nehmen, auf beiden Seiten. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, die Fakten zu sehen. Wenn wir sichere Straßen und weniger Kriminalität haben wollen, sollten wir die echten Probleme angehen. Die sind leider viel komplexer und brauchen mehr Geld und Menschen, um sie zu lösen. Eine neue Straßenbeleuchtung ist verlockend für Politiker, um zu sagen: „Wir tun doch was!“ Nur nutzt es leider wenig und richtet wie gesagt Schaden an.

Es geht auch nicht darum, überall das Licht abzuschalten. Gute Lichtplaner bringen das Licht in der richtigen Menge dahin, wo es gebraucht wird. Leider ist echte Lichtplanung im Budget selten vorgesehen, aber wer nach dem Prinzip viel hilft viel beleuchtet macht seine Bürger auch nicht glücklich – und spart sich teilweise teure Nachbesserungen.

Foto von Pexels von Pixabay

Ich habe keine Patentlösung und ich will auch niemandem das Licht verwehren. Aber könnten wir bitte anfangen, die Menschen, die unter dem Licht leiden, genauso ernst zu nehmen wie die, die Angst vor Dunkelheit haben? Könnten wir das Recht auf Dunkelheit genauso ernst nehmen wie das Recht auf Sicherheitsgefühl? Und können wir endlich einen ehrlichen Versuch eines Kompromisses machen? Und vielleicht – nur so als Idee – könnten wir ja mal die wirklichen Ursachen für Kriminalität in Angriff nehmen statt so zu tun, als wäre Licht allein die Lösung? Ist es nämlich nicht. Zu viel Licht macht nur mehr Probleme.

Quellen

Deutscher Verkehrssicherheitsrat e.V., 2003. Unfälle in der Dunkelheit. Schriftenreihe Verkehrssicherheit Nr. 12.

Landgericht Wiesbaden. 2003. Dauerhafter Betrieb einer Außenleuchte. LG Wiesbaden 10 S 46/01.

Marchant, P., Hale, J.D., Sadler, J.P., 2020. Does changing to brighter road lighting improve road safety? Multilevel longitudinal analysis of road traffic collision frequency during the relighting of a UK city. J. Epidemiol. Community Health 74, 467–472.

PriceWaterhouseCoopers, 2015. Straßenbeleuchtung im Energiesparmodus?

Steinbach, R., Perkins, C., Tompson, L., Johnson, S., Armstrong, B., Green, J., Grundy, C., Wilkinson, P., Edwards, P., 2015. The effect of reduced street lighting on road casualties and crime in England and Wales: controlled interrupted time series analysis. J. Epidemiol. Community Health 69, 1118–1124.

Tompson, L., Steinbach, R., Johnson, S.D., Teh, C.S., Perkins, C., Edwards, P., Armstrong, B., 2022. Absence of Street Lighting May Prevent Vehicle Crime , but Spatial and Temporal Displacement Remains a Concern. J. Quant. Criminol.

Vecino-Ortiz, A.I., Nagarajan, M., Elaraby, S., Nicolas Guzman-Tordecilla, D., Paichadze, N., Hyder, A.A., 2022. Series Road Safety 2022 2: Saving lives through road safety risk factor interventions: global and national estimates. Lancet 400, 237–250.

2 Replies to “Sicherheit versus Schlaf – ein Konflikt und eine Einschätzung”

  1. „Sicherheit“ ist sehr variabel, es ist ein Gefühl und keine Fakten helfen mir sofort gegen meine Angst. Angstbewältigung würde Sicherheitsgefühl schaffen, erfordert aber eigenes Handeln statt z.B. Lichtkonsum. Zur Angsbewältigung helfen Fakten, logisch.

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